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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Auf dem Tandem nach Iran (Teil 8): Die Schlupps sind in der Türkei angekommen und verirren sich in Istanbul

Die Menschen in der Türkei empfingen die Schlupps mit überwältigender Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und großer Gastfreundlichkeit. Aber: „Die bergige Landschaft, Sturm und Regen sowie Hunderudel machten uns das Radeln schwer.“ Nachstehend ihr Bericht von der jüngsten Etappe

Dienstag, 05. Oktober 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. Über die bulgarisch-​türkische Grenze haben wir uns mit einem gemieteten Kleinbus fahren lassen. Unser Fahrer, der uns in Bulgarien geschickt durch die Schlaglöcher gekurvt hat, konnte nach den Grenzkontrollen auf einer neu ausgebauten Schnellstraße unbekümmert Gas geben. Er setzte uns in Vize ab. Während wir unser Tandem bepackten und den Anhänger ankoppelten, rief der Muezzin von der gegenüberliegenden Moschee zum Gebet. Wir waren enttäuscht, niemand stand auf dem Minarett. Der Ruf kam aus einem scheppernden Lautsprecher.
Der Ramadan ging gerade mit den drei Bayram-​Festtagen zu Ende. Viele Türken strebten zur Moschee und bewunderten im Vorbeigehen unser Gefährt. Wir fuhren los und merkten gleich, dass wir Gegenwind haben. Als der Ort zu Ende war, blies uns ein böiger Sturm von links vorne heftig ins Gesicht. Wechselnde Böen brachten uns immer wieder ins Schlingern, gefährlich kamen wir dabei in die Nähe überholender Autos. Wir steuerten daher nach nur zwei Kilometern eine Tankstelle an. Der Sturm wurde noch stärker. Wir beschlossen umzukehren und in Vize im Hotel zu übernachten.
Am nächsten Morgen legte sich der Wind allmählich. Den ganzen Tag ging es bergauf und bergab. In der ersten Stadt machten wir Pause und tranken türkischen Tee. Der junge Mann, der uns bediente, sah unsere Fahne, fragte nach unserem Woher und Wohin und sagte zu uns strahlend: „I like peace.“ Zum Bezahlen hatten wir nur große Scheine aus dem Bankautomat. Da niemand wechseln konnte, wurde uns die Rechnung erlassen. Mit einem weiteren „I like peace“ wurden wir verabschiedet. In der Stadtmitte fragten wir nach der Richtung. Das bekam ein Junge auf einem Kinderfahrrad mit. Er setzte seinen kleinen Bruder auf den Gepäckträger und fuhr uns freudig voraus, drehte sich häufig nach uns um und gab dabei seinem Bruder immer wieder eine Ohrfeige. Beim Ortsende verabschiedeten die beiden sich.
Wir waren noch nicht weit gefahren, überholte uns ein Auto und hielt an. Ein junger Mann stieg aus. Er holte eine Pralinenschachtel aus dem Auto, umarmte ohne Zögern Brigitte, küsste sie links und rechts und drückte ihr das Präsent in die Hand: „Willkommen in der Türkei und gute Reise“. Er stieg wieder in sein Auto, wendete und fuhr davon.
Am Nachmittag hörten wir von hinten ein „Pling“, zum dritten Mal war eine Speiche gebrochen. Wir steuerten den nächsten Ort an und fragten nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Im Dorf gab es nichts. Ein englisch sprechender Bewohner nahm sich unser an. Wir wurden zuerst zum Tee eingeladen (das passiert seit dem regelmäßig) und wir sollten warten. Dann kam ein Deutsch sprechender Türke. Er informierte den Bürgermeister und der schloss für uns das Gemeindehaus auf. In einem Raum mit zwei Sofas und einem abgelegten Rasentrimmer rollten wir unsere Schlafsäcke aus.
Neben dem Gemeindehaus war eine große Moschee. Brigitte fragte, ob wir sie besichtigen dürfen. Die beiden Männer wollten uns gleich hinführen. Wir waren noch im Radler-​Outfit. Wolfgang zog eine lange Hose über. Auf unsere Nachfrage betonten beide mehrmals, Brigitte brauche sich nicht umziehen. Der Muezzin rief zum Gebet. Die beiden drängten. Zwischen den zum Gebet kommenden Männern zeigte uns der Bürgermeister stolz den prachtvollen Neubau. Wir waren von der Gestaltung mit blauen Kacheln beeindruckt.
Am nächsten Morgen war Wahlsonntag. Das Gemeindehaus wurde von Polizei bewacht. Bald kam der Bürgermeister, öffnete sein Amtszimmer und trank mit den Polizisten einen Tee. Dann kamen die Wähler, um ihre Stimme für das Referendum über die Verfassungsänderung abzugeben. Wir packten unser Tandem, verabschiedeten uns vom Bürgermeister mit einem Kranich und luden ihn ein, Mitglied von Mayors for Peace zu werden.
Gegen Mittag braute sich ein Gewitter zusammen. Es schüttete dann den ganzen Tag wie aus Kübeln. Am Nachmittag flüchteten wir uns in ein Hotel und trockneten uns und unsere Sachen. Am nächsten Morgen strahlte die Sonne. Mit Ziel Istanbul traten wir in die Pedale den langen Anstieg hinauf. Immer häufiger sahen wir streunende Hunde. Sie waren größer als in Serbien und Bulgarien. In der Ferne sahen wir einen, der bewachte eine Kreuzung und bellte jedes Auto an. Uns war unwohl. Erinnerungen an die Hundeattacke in Serbien kamen auf. Wir machten nach einem Anstieg eine Pause. Irgendetwas stimmte nicht. Erst im zweiten Anlauf merkten wir, unsere Fahne hatte sich verabschiedet, samt ihrer Stange. Diese war einfach aus der Halterung herausgerutscht. Ohne unser Erkennungszeichen mussten wir weiterradeln.
Die Landstraße wurde kurzzeitig zur Schotterpiste. Rechts und links lagen oder liefen Hunde herum. Die Schotterpiste führte zu einer Baustelle, wo die Straße vierspurig ausgebaut wird. Wir hatten neuen, besten Straßenbelag und konnten auf der Standspur fahren. Ständig düsten Lastwagen mit Baumaterial an uns vorbei. Und immer wieder tauchten Hunde auf. Das machte das Fahren trotz super Straße anstrengend.
Unser Schreck war groß, als neben der Straße ein ganzes Hunderudel auftauchte, es waren zehn, größer und stämmiger als Schäferhunde. Es kümmerte sich nicht um uns. Aber beim dritten Rudel bellte uns einer an. Mit funkelnden Augen erhob er sich aus der Meute, die auf der Böschung war. Was, wenn die alle auf uns zukommen? Wir nutzten den guten Straßenbelag und traten kräftig in die Pedale. Wir erreichten früher als geplant den Ortsrand von Istanbul.
Brigittes Freundin Angelika aus Waldstetten wohnt heute in Frankfurt. Ihr dortiger türkischer Nachbar, Herr Dogan, lud uns alle in sein Istanbuler Haus ein. Er und seine Tochter Gülcan erwarteten uns. Wir mussten in den Stadtteil Sariyer fahren. Die Straßenschilder wiesen uns die Richtung. Mit einem Computerausdruck aus dem Stadtplan wollten wir die richtige Adresse finden. Doch wir nahmen eine falsche Abzweigung. Wir gerieten außerhalb unseres Ausdrucks. Wir fragten Passanten, große Ratlosigkeit. Wir riefen Gülcan an. Die nannte uns eine Polizeistation als Orientierung. Wir fuhren weiter und landeten bei der falschen. Ein weiteres Handygespräch brach ab. Das Guthaben war aufgebraucht. Inzwischen wurde es dunkel. Brigitte war mit den Nerven am Ende. Eine Frau, die gerade ihre Freundin verabschiedete, erkannte die Lage und bot uns an, bei ihr einen Tee zu trinken, uns zu erfrischen und zu telefonieren. Sie war unser rettender Engel. Gülcans Mann organisierte einen Freund, der uns mit einem Transporter abholte. Fast gleichzeitig kam Angelika mit Familie vom Flughafen an. Wir erzählten noch lange, bis wir ins Bett sanken.

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