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Theo Betz hat die Geschichte seiner Familie mütterlicherseits, der Schmids aus dem Gasthof „Hölzle“ recherchiert

Theo Betz hat in einer enormen Fleißarbeit die Geschichte der Hölzle-​Familie in Weilerstoffel zusammengetragen und sie „Aus bestem Holz geschnitzt“ genannt – und das mit gutem Grund.

Sonntag, 13. Juni 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

WALDSTETTEN-​WEILERSTOFFEL (bt). Solche Geschichten werden nicht vergessen in einer Familie; noch nach Generationen machen sie traurig und betroffen. Als Franz-​Xaver Schmid 13 Jahre alt war, rannte er so schnell er konnte den ganzen Weg von Weilerstoffel nach Wißgoldingen, um „Onkel Karl“ zu holen, der zwar nur ein Onkel um zwei Ecken rum war, aber Bürgermeister in Wisslingen und vor allem Wundarzt – Dr. Karl Hofele. Die herausgekeuchte Botschaft stand dem Buben auch ins Gesicht geschrieben: Komm schnell, es ist etwas Furchtbares passiert. Hedwig, gerade mal acht Jahre alt und wie immer mit Aufgaben eingedeckt, die sie kaum bewältigen konnte, war mit ihrem elf Monate alten Bruder Adölfle auf dem Arm die steile Stiege von der Bauernstube hinuntergestiegen, als sie stolperte und das quirlige Adölfle ihr über Schulter robben und kopfüber auf den Steinboden knallen konnte.
Hofele spannte an und jagte seinen Braunen den geschotterten Fahrweg über Tannweiler zum Ort des Unglücks. Beim ersten Blick auf die schweren Verletzungen des Kleinkinds, war ihm wohl klar, dass da jede Hilfe zu spät kommen würde – im Krieg gegen Frankreich 1870 hatte er viele Kopfverletzungen behandelt, aber in diesem Fall war die Hirnrinde beschädigt, so sehr, dass das Adölfle geistig schwerst behindert durchs Leben ging. Seine ersten Gehversuche blieben die letzten. Dass die Familie so lange es ging die Folgen dieses Unglücks gemeinsam getragen hat, zeigt, so meint Theo Betz, aus welchem Holz sie geschnitzt ist.
Jener Franz-​Xaver Schmid war ein Sohn des erste Hölzle-​Wirts, der ebenfalls Franz-​Xaver hieß. Im kommenden Jahr jährt es sich zum 100. Mal, dass ihm und seinem Gasthaus das Schankrecht verliehen wurde; was er begründet hat, haben nunmehr vier Generationen erhalten und ausgebaut. Kurz nach der Geburt seines Sohnes Alfons im November 1893 starb seine Frau Antonia im Alter von 26 Jahren. Eine zentrale Rolle in dieser Familiengeschichte spielt Antonias Schwester, Kreszentia Hofele vom Schuhmichelhof in Wißgoldigen. 1893 stand sie in Stuttgart auf der Neckarbrücke und wollte sich in den Fluss stürzen, einfach nicht mehr leben. Großonkel Karl Hofele, dem selbstredend ein eigenes Kapitel gewidmet ist, hatte die Kreszenz, die als aufgeweckt und sehr gescheit galt und der Stolz ihrer Familie war, damals in eine vermögende und hochgeachtete Familie in Biberach an der Riss vermittelt; hier sollte sie sich auf ihr Leben als Mutter und Hausfrau vorbereiten. Am Jahreswechsel 1992/​1993 jedoch, als ihre Arbeitgeber zur Silvesterfeier gingen und sie das Haus hüten sollte, hat sie sich mit dem Apothekergehilfen Karl Stark eingelassen. Im Mai teilte die Frau Apotheker den Wisslingern mit, dass ihre Zenzi im fünften Monat schwanger sei und die Familie sich Gedanken machen möge, wie es weitergehe. In dieser Familie, aus der zwei Ordensfrauen, ein Pater und ein katholischer Dogmatikprofessor hervorgingen, war das undenkbar. Die Zenzi wurde zunächst verstoßen, dann aber doch widerwillig wieder aufgenommen. Ihre Tochter Emmi kam in eine Pflegefamilie, wo’s dem Kind wohl gar nicht gut ging.
Zu dieser Zeit verzweifelte Franz-​Xaver Schmid, der junge Witwer, über all der Arbeit und der Aufgabe, seine Buben, den vierjährigen Josef und den Säugling Alfons zu versorgen, also schickte ihm der Schwiegervater die andere Tochter, die so viel Schande über die Familie gebracht hatte. Na, und dann heirateten Franz Xaver und die Zenzi — die sich die ganze Zeit über einiges anhören musste. Der Pfarrer unterbrach sogar die Hochzeitszeremonie, um sie lautstark aufzufordern, das weiße Brautkrönchen abzunehmen: „Es steht dir nicht zu, nimm es von deinem Kopf und neige dein Haupt in Reue“. Aber sie hat’s durchgestanden, wie alles in ihrem Leben. Sie hat sich ihr Baby wiedergeholt und entscheidend dazu beigetragen, dass aus dem Hof ein renommiertes Gasthaus wurde. Die beiden hatten gemeinsam sieben weitere Kinder, unter ihnen der zweite Hölzles-​Wirt Engelbert, und Theo Betz stellt sie und ihre Kinder und Kindeskinder vor. Hier die tränentreibende Begegnung zweier Brüder im Schützengraben, dort ein im Heu verlorener und unerwartet wiedergefunden Ehering. Sänger und Skifahrer finden sich wieder, ebenso die Freunde der Patriziuskapelle. D’Wägners Hedwig, die Kaffeetante, lebt wieder auf, die so lange an Adölfles Unfall litt, oder auch Emmi, die Schneiderin, die lebenslang zu spüren bekam, „was damals in Biberach passiert war“ und dennoch selbst „Stammmutter einer Großfamilie“ wurde. Theo Betz hat all diese Geschichten in erster Linie für seine Enkelkinder zusammengetragen. Dass daraus ein 125 Seiten starkes Manuskript werden würde, ahnte er nicht, als er damit begann, sich in der Zeit zurückzuarbeiten und immer mehr Freude daran fand, die Lebensläufe der einzelnen Familienmitglieder nachzuvollziehen. Was den Kindern der ersten Wirtsgeneration widerfahren ist, fand der Waldstetter in besonderem Maß faszinierend, „da sie von den bäuerlichen Strukturen mit den rigiden kirchlichen und sozialen Kontrollen in eine Zeit des gesellschaftlichen Wandels hineinwachsen und zwei mörderische Weltkriege überstehen mussten“.

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