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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Rebecca Tettenborn und Katrin Haag Lehmann beenden ihren Theaterworkshop in der JVA Gotteszell

Zwei angehende Theaterpädagoginnen haben elf Monate lang einen Theaterworkshop im Frauengefängnis Gotteszell durchgeführt — wären sie gescheitert, sie hätten ihre Ausbildung nicht abschließen können. Eine „mutige Geschichte“ nennt Direktorin Sibylle von Schneider-​Holl das Unterfangen.

Freitag, 10. September 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Christiana, 27, hat ihre selbstgemachte Gipsmaske „Evil“ genannt, Böse. Das ist nicht das, was ihr einfällt, wenn sie sich charakterisieren soll, wohl aber Begriffe wie frech, oder auch widerständig. In der Theater AG übernahm sie ganz selbstverständlich die Rolle derer, die andere gegeneinander ausspielt, die lockt und in Versuchung führt. Ganz anders Sabine, 43; die zierliche Frau hat ihrer Maske — und sich selbst — den Namen Persephon gegeben. Sie sieht sich als eine, die aus der Hölle emporsteigt, in den Frühling hinein; für die anderen ist sie diejenige, die Freiheit gibt und Freude repräsentiert. Heike, 42 Jahre alt, nennt sich aus ihrer Biografie heraus „El Quadro“, Marianne, die Älteste, hat sich für „Unreratschipur“ entschieden und will vor allem helfen und verstehen. Aus ihren Masken heraus, haben sie ein Spiel entwickelt, das vor allem eines will: Balance herstellen, gegensätzliche Kräfte neutralisieren: „Das spiegelt durchaus die Situation wieder, die die meisten hier vorfinden und in der sie sich selbst sehen“. Durchhaltevermögen war gefragt, nicht selbstverständlich unter diesen Bedingungen.
Von Schneider-​Holl genehmigte das Projekt, weil sie, wie sie erklärt, immer offen sei für interessante Dinge; sie spricht aber auch vom Risiko, das die zwei Gruppenleiterinnen eingegangen seien: „Sie hätten wirklich scheitern können“. Außerdem ging es darum, durch theaterpädagogische Übungen Selbst– und Fremdwahrnehmung zu schulen, die momentane Lebenssituation ebenso einzuschätzen wie eigene Stärken und Schwächen. Die JVA-​Chefin: „Wir wussten nicht, in welche Tiefen das gehen würde, und ob nicht Dinge, die in diesem Rahmen geschehen, die in die Abteilungen getragen werden“. Die beiden externen Gruppenleiterinnen Rebecca Tettenborn und Katrin Haag Lehmann wiederum mussten sich mit den Gegebenheiten einer Justizvollzugsanstalt vertraut machen: Kurz einen Hut holen oder mal eben etwas kopieren hört sich bei all den Sicherheitsbestimmungen in Gotteszell viel einfacher an, als es ist. Die Teilnehmerinnen dankten den beiden „Externen“ gestern herzlich: „Sie haben einiges an Aufwand in Kauf genommen“. Sibylle von Schneider-​Holl wiederum lächelte: „Bei uns lernt man in der Tat, strukturell zu arbeiten“. Auch Elke Diemer galt Dank — die Leiterin der Freizeitabteilung hat das Projekt von Anfang an unterstützt.
Gearbeitet wurde tatsächlich, und es war nicht immer einfach. In verschiedenen Übungen wurde Sprache, Mimik, Gestik und Körperhaltung nachgespürt. Die Frauen lernten, sich zu überwinden. Zum ersten mal habe sie vor anderen lesen und sprechen können, erzählt Marianne: Früher sei es unvorstellbar gewesen, so aus sich heraus zu gehen. Dann all die Koordinationsübungen, die Spiele, die Merkfähigkeit und Rhythmusgefühl stärken sollten — eine der Teilnehmerinnen leidet an MS und wird nicht müde, zu versichern, dass ihr diese Theater-​AG „ganz, ganz viel gebracht“ hat.
„Da muss es doch noch andere Möglichkeiten geben“
Der Kurs ist jetzt abgeschlossen: Vorbei ist es noch lange nicht. Alle Frauen sind davon überzeugt, dass das „Folgeangebot“ das Leben selbst ist, für das sie schließlich geübt haben: Jetzt machen sie sich Gedanken darüber, wie sie ihre Mimik einsetzen, wie sie wirken, was sich allein durch Körperhaltung ausdrücken lässte. Einmal haben sie einen ganz banalen Satz aus einem Autoprospekt auf unterschiedlichste Art gesagt — und sind erschrocken, wenn sich das Gegenüber eingeschüchtert wegduckte oder ebenfalls aggressiv wurde, wenn sich auf der anderen Seite Gesichter entspannten, wenn sie andere zum lächeln bringen konnten. Vielleicht, so hoffen sie, zeigen sie nun bei Bewerbungsgesprächen oder auch im Umgang mit Ämtern mehr Geschick.
Katrin Haag Lehmann ist Schulleiterin in Durlangen und hat eigentlich mehr als genug zu tun. Das Ganze sei nur möglich gewesen, weil ihr Mann sie sehr unterstützt habe. Den Ausschlag gab Sohn Franz — als er Bischof Nikolaus von Myra spielen sollte, wurde ihr klar, dass der Kleine nicht die geringste Ahnung hatte, was er da eigentlich darstellte: „ Mir wurde bewusst, dass es Wege geben muss, mit Kindern anders Theater zu spielen; es bringt gar nichts, ihnen einfach etwas einzubläuen“. Und so hat sich die 39-​Jährige für eine Ausbildung zur Spielleiterin (BuT) bei der STOA in Aalen entschieden. Die 30-​jährige Rebecca Tettenborn, ebenfalls Grund– und Hauptschullehrerin, erklärt, sie habe sich immer schon fürs Theaterspiel begeistert und diese Möglichkeiten sehr zu schätzen gewusst. Der Workshop in Gotteszell war nur ein Teil der Ausbildung zu Spielleiterin — aber eben einer, der beiden Frauen viel bedeutet hat. Bei einer Abschlussaufführung in der Vollzugsanstalt am kommenden Sonntag wird das Erarbeitete im Rahmen einer kleinen Aufführung vorgestellt.

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