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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Erst das Feuer entfachte große Debatte um Maria Kahle /​Mehrheit des Gemeinderats, Historiker und Literaturwissenschaftler sehen kein Problem

Sehr tiefgreifend und zusammen mit einer hochkarätigen Riege von Experten befasste sich der Bau– und Umweltausschuss sowie der Verwaltungsausschuss des Gemeinderats gestern Abend mit der Gebäude-​Namensgebung „Maria-​Kahle-​Schule“ am Klösterle.

Donnerstag, 07. April 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 45 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (hs). Eine seltsame Entwicklung hatte die Geschichte genommen. Jahrzehntelang hatte sich kaum jemand Gedanken um die Schrifstellerin Maria Kahle gemacht, deren Namenszug an der einstigen katholischen Mädchenschule am Klösterle eingemeißelt ist. Und für ganze Schülergenerationen gab’s nie ein Problem, um sich mit der Maria-​Kahle-​Schule zu identifizieren. Doch dann passierte im August letzten Jahres der verheerende Großbrand, der den Nordflügel des etwa 150 Jahre alten Schulhauses zerstörte. Eine Diskussion wurde losgetreten, wobei besonders die vielen Helfer und Betroffenen fassungslos die Hände über dem Kopf zusammenschlugen mit der Frage, ob es denn keine wichtigeren Sorgen gebe. Es ging um den Vorwurf, Maria Kahle sei eine Schriftstellerin und Handlangerin des Nationalsozialismus. Daher müsse der Name im Zuge des Wiederaufbaus der Schule umgehend abgemeißelt werden.
Oberbürgermeister Richard Arnold wollte es nun ganz genau wissen und hatte gestern zu der ausführlichen „Geschichts– und Literaturstunde“ eingeladen. Sie war äußerst hilfreich, urteilten hernach alle Diskutanten und Kontrahenten.
Zunächst beschrieb Baubürgermeister Julius Mihm Interessen des Denkmalschutzes, der für ein „Dranbleiben“ des historischen Namens plädiert hatte. Mihm rief zu einer intensiven Bewusssteinbildung zur Fragestellung auf, wer Maria Kahle überhaupt war und welche Gesinnung sie vertrat.
Professor Hubert Herkommer erläuterte, dass über ein Vorgang debattiert werde, der sich schon vor 75 Jahren abgespielt habe. Ein Wegmeißeln des Namenszuges wäre für ihn ein „Schildbürgerstreich erster Güte“. Die Literatur von Maria Kahle siedelte er im Zeitgeist der damaligen Betrachtung von Familie und der Rolle der Frau an. Interessanterweise tauchte noch in den 50er-​Jahren als Abitur-​Thema Ähnliches auf: „Die Mutter, die die Wiege bewegt, bewegt die Welt“. Der Historiker berichtete, dass die Gmünder Nazis in den 30er-​Jahren des vergangenen Jahrhunderts ursprünglich den Namen eines „Flintenweibs“ für das Schulhaus wünschten, um eindeutig Abschied von der früheren katholischen Mädchenschule zu nehmen.
Im katholisch geprägten Gmünd habe es viele kleine und geschickte Formen des Widerstands gegeben. So habe beispielsweise der Dekan bei der Fronleichnamsprozession bewusst Ritterkreuzträger als Träger des Himmels bestellt, um so die nationalsozialistischen Uniformträger am Rande der Prozession zu zwingen, vor dem christlichen Heiligtum zu salutieren. Und ähnlich hätten sich katholische Kräfte im Gemeinderat durchgesetzt und statt des „Flintenweibes“ den Namen einer geschätzten Schrifstellerin ausgewählt. Herkommer sprach sich für das Anbringen einer Tafel am Gebäude aus, um die Namensgebung zu erläutern. Historiker Prof. Ulrich Müller, profunder Kenner dieses Geschichtskapitels, sprach sich ähnlich aus. Es habe in Gmünd durchaus massiven Widerstand des Klerus gegen die Nazis gegeben, der sich auch in solchen kleinen Entscheidungen gegen den Willen der Braunen äußerte.
Rektorin Edda Hogh zog das Problem von der wissenschaftlichen auf die ganz praktische Ebene: Ihre erste Reaktion in den Tagen nach Brand sei die gewesen: „Ich habe im Moment wirklich andere Sorgen!“ Bis zu jenem Tag, als die Schule brannte, habe sie auch als Gmünderin überhaupt keine Probleme mit dem Namen verspürt. Und niemand wusste überhaupt, wer Maria Kahle war. Der Schriftzug könne durchaus bleiben, denn „wir waren und sind die Klösterleschule und nichts anderes“. Reíner Wieland, Leiter des Schriftgutarchivs Ostwürttemberg, zeichnete gleichfalls das Bild einer „katholisch-​patriotischen Schrifstellerin“. Stadtarchivar Dr. Klaus-​Jürgen Herrmann wusste zu berichten: Die Amerikaner hätten 1945 die Literatur auch in Gmünder Schulen sorgsam begutachtet und bei Maria Kahle keinerlei Bedenken geäußert.
„Die CDU sieht keinen Handlungsbedarf, außer bei der Tafel“, meinte Fraktionschef Alfred Baumhauer. Stadtrat Konrad Sorg (SPD) warnte vor einer „Bilderstürmerei“, die „ein paar rabiate Aufklärer“ ausgelöst hätten. „Nicht ins Lächerliche ziehen!“ warnte Stadtrat Elmar Hägele (Grüne). Dessen Fraktionskollege Alexander Schenk trug eine ganze Reihe von Maria-​Kahle-​Textauszügen vor, die durchaus hetzerischen Nazi-​Parolen entsprachen. Die SPD zeigte sich gespalten. Stadtrat Ullrich Dombrowski (FW/​FDP) mahnte: Man könne sich mit Geschichte doch nicht befassen, wenn man Geschichte entfernt. „Keine Notwendigkeit des Entfernens“, so das Votum von Stadträtin Eva-​Maria Hack (FWF).
Eindrucksvoll der abschließende Zeitzeugen-​Bericht von Albert Fischer.
OB Arnold fasste zusammen: Der Namenszug werde bleiben, jedoch werde eine ergänzende Informationstafel am Maria-​Kahle-​Gebäude der Klösterleschule angebracht.

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