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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

1984: Abschied vom Klepperle

Jahrzehntelang wurde erfolgreich für den Erhalt der Hohenstaufenbahn gekämpft. Doch zum Sommerfahrplan 1984 ließ die Bundesbahn nicht mehr mit sich verhandeln. Tausende Menschen säumten den Weg, als das Klepperle zu Grabe getragen wurde.

Sonntag, 17. Juli 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 36 Sekunden Lesedauer

Von heino Schütte
SCHWÄBISCH GMÜND. Die Verbundenheit der Menschen mit dem „Göppinger Zügle“ war zeitlebens riesig. Das Klepperle oder auch Josefle, wie die Hohenstaufenbahn von den Menschen jeweils im Göppinger und Gmünder Raum genannt wurde, spielte sich nicht nur auf der Bahnstrecke ab, sondern bei vielen Göppingern, Gmündern, Straßdorfern usw. auch daheim im Wohnzimmer. Denn der Wunschtraum eines jeden Buben war nach dem Zweiten Weltkrieg eine Märklin-​Modellbahn. Die berühmte Startpackung mit einer kleinen Dampflok, zwei Waggons und einem Gleisoval hieß beim Kauf in den Spielwarenläden oder auf dem Wunschzettel fürs Christkind automatisch: „Des Göppinger Zügle hätt’ i gern“.
In jenen Jahren war die weltberühmte Firma Märklin nicht nur in Göppingen daheim, sondern – was viele schon vergessen haben – auch in Gmünd stark vertreten. Zeitweise bis zu 200 Mitarbeiter beschäftigte das Märklin-​Werk an der Gmünder Wilhelmstraße, das sich auf die Waggonfertigung spezialisiert hatte. Märklin war auch ein geschätzter Arbeitgeber für Heimarbeit. Und das Klepperle war ein wichtiges Bindeglied für viele Berufspendler und Schüler zwischen den in den Wirtschaftswunderjahren pulsierenden Wirtschaftsstandorten GD und GP.
Zum größten Feind des „Göppinger Zügle“ wurde dann in den 50er-​Jahren des letzten Jahrhunderts der Omnibus. Die Verantwortlichen der Bundesbahn begannen immer häufiger zu rechnen und zu kalkulieren mit dem Ergebnis, dass die Personenbeförderung auf der Straße mittels eines Kraftwagens, der auch nur einen Fahrer und keinen Schaffner mehr benötigte, viel günstiger wäre. Jedoch war die Sparte der Güterbeförderung zunächst noch auf der Schiene stark, schnell und kostengünstig daheim. Doch auch das sollte sich bald ändern.
Der erste Todesstoß fürs Klepperle drohte bereits 1966, als erstmals eine durchgehende Bahnomnibuslinie zwischen Göppingen und Gmünd eingerichtet wurde. Noch sorgte der Staat für einen Bestandsschutz, indem es den beiden Gmünder Omnibusunternehmen verboten wurde, Fahrgäste zwischen der Stadt und Straßdorf zu befördern. In den 70er-​Jahren wurde es jedoch nach verschiedenen Initiativen der Bundesregierung und der Bundesbahn-​Führung für Streckenoptimierungen dramatisch: Erstmals nahmen 1977 Streckenstilllegungspläne für Gmünd-​Göppingen konkrete Formen an. Es gab jedoch massiven Widerstand der Landkreise, der Kommunen und des Landes, vor allem aber auch der starken Eisenbahnergewerkschaft. Doch nach einem weiteren Anlauf der „Bundesbahn-​Optimierer“ wurde das Klepperle um 1982 vollends in die Ecke getrieben. Die Bürger und Kommunen entlang der Trasse blieben jedoch nicht untätig. In jenen Schicksalstagen wurde ein Sonderzug nach dem anderen auf die Beine gestellt. Schon seit den 70er-​Jahren wurden sogar alljährlich überlange „Fasnachtszüge“ organisiert: Feuchtfröhlich startete jeweils ein ganzes Heer von Narren und Eisenbahnfans via Göppingen nach Donzdorf, um dort den Faschingsumzug zu besuchen. Auch wurde ein Förderverein für Erhalt des Schienennetzes Gmünd-​Göppingen ins Leben gerufen, dem sich viele namhafte Persönlichkeiten und Idealisten anschlossen. Man wäre sogar bereit gewesen, eine Museumsbahn zu betreiben, doch stellte sich die damalige Bundesbahn furchtbar stur: Im Gegensatz zu heute war der Betrieb von Dampflokomotiven auf Bundesbahngleisen grundsätzlich nicht mehr gestattet. Und ein Kaufangebot war preislich völlig überzogen. Die denkwürdige letzte Fahrt des Klepperle am 2. Juni 1984 rückte immer näher. Bis dahin waren die letzten Personenzüge oft total überfüllt, weil die Menschen letztmals die Panoramabahn genießen wollten. Immer wieder kam es zu Protestaktionen gegen die Stilllegung. Dann die letzte fahrplanmäßige Fahrt: Tausende gaben teils mit Tränen in den Augen dem riesigen Zug das letzte Geleit.
Eine nette Anekdote: Die absolut letzte Zugfahrt fädelte ein Eisenbahner ein, der sich von Göppingen aus mit einer kleinen Rangierlok und einem einzelnen Waggon trickreich auf eine ganz persönliche Abschiedsreise machte, um seiner Lieblingsstrecke „Lebe wohl!“ zu sagen. Er kam leider nicht mal mehr bis nach Straßdorf, weil ein Bahnübergang schon zuasphaltiert war: Erste Vorbereitungen für die Wiedergeburt der Klepperle-​Trasse als einer der schönsten Rad– und Wanderwege Deutschlands.

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