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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Gmünder Eisenbahngeschichte(n), Teil 23: Viele erlebten mit dem Klepperle die erste abenteuerliche Eisenbahnreise ihres Lebens /​Einmal Straßdorf und zurück

Obwohl die Klepperle-​Trasse schon seit drei Jahrzehnten nicht mehr der Bahn, sondern den Radlern und Wanderern gewidmet ist, sehen und hören dort viele Gmünder, Göppinger, Straßdorfer usw. immer noch die Dampfrösser und Dieselloks schnaufen

Samstag, 02. Juli 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer

Von Heino Schütte
SCHWÄBISCH GMÜND. Und die Erinnerungen an das Klepperle lassen jedem Eisenbahnfan das Herz höherschlagen, denn die Hohenstaufen-​Panoramabahn gilt bis heute als eine der schönsten im Land. Emotional kommt noch ein weiterer „Dampffaktor“ dazu: Es war im vergangenen Jahrhundert oft üblich, dass ein Kind aus Gmünd oder Straßdorf die erste Eisenbahnfahrt seines Lebens zwischen Gmünd Hauptbahnhof via Gmünd Süd und Bahnhof Straßdorf unternehmen durfte. Erstens weil’s überschaubar, und zweitens weil’s bezahlbar war.
Es klingt im heutigen Jet-​Zeitalter lustig, doch es gab in jenen Jahren in den Familien rege Diskussionen zur Frage, ab wann und wie man einem Kind die erste Eisenbahnfahrt zumuten darf:
Morgen ist’s soweit; vor Aufregung konnte man in der Nacht vor der ersten Klepperle-​Reise kaum einschlafen. Der große Bruder war so nett, und hat mit Hilfe seiner Märklin-​Loks den Kleinen auf die Ungetüme eingestimmt. Aufwachen, anziehen, schnell jetzt. Die mit der heiklen Aufgabe betraute Oma macht jetzt schon Dampf: Damit’s kein Stress am Bahnhof geben sollte, will sie schon eine Stunde vor Abfahrt des Klepperle auf dem Bahnhof sein. Recht hat sie, denn am Fahrkartenschalter steht eine Schlange von Menschen vor dem Fenster mit einer respektvoll-​distanzierten Durchreiche der Fahrkarten aus Pappe. Der uniformierte Beamte hinterm Fenster lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Weil ein Kunde sich nach einer Verbindung nach Hamburg erkundigt, ist der Fahrkartenverkäufer plötzlich völlig überfordert und ruft nach hinten in die Diensträume um Hilfe. Ein zweiter Schalter öffnet endlich, wo ein weiterer Uniformierter geduldig riesige Fahrplanbücher aufschlägt, um das Puzzle der komplizierten Verbindungen und Umsteigepunkte für den Wartenden handschriftlich auf einem Merkzettel zusammenzustellen. Solche Probleme haben wir bei der Fahrt mit dem Klepperle nicht. Das Göppinger Zügle kennt nur ein Hin und Her zwischen Fils– und Remstal, so dass eigentlich nichts schiefgehen kann. Wenn da nicht die Aufregung der ersten Eisenbahnfahrt in Angst umschlägt! Sicherheitshalber geht’s noch einmal ins Abort-​Häusle (stand damals außerhalb des Bahnhofs, heute „Fahrrad-​Parkhaus“). Es stinkt furchtbar. Oma hüllt sich sofort in eine Wolke Kölnisch Wasser ein und schimpft auf die Mannsbilder, die ihrer Überzeugung nach mal wieder nicht in der Lage gewesen seien, „das Klo zu treffen“. Besser jetzt als später im Zug – sowohl das Kölnisch Wasser als auch die Treffsicherheit. Dann noch einmal um die Ecke. Und da steht sie. Die Dampflok! Ein mächtiges Ungetüm mit zunächst unerklärlichen Geräuschen und Erscheinungen: Zischen, Quietschen, dann plötzlich Wolken, die aus den seitlichen Ventilen heraus zischen und die zum Zug eilenden Passagiere einhüllen. Der Lokführer bemerkt den ängstlichen Blick des Kindes. Es darf schnell hochsteigen, um einen Blick in das Innenleben des stählernen Dampfrosses zu werfen. Der nette Lokführer erklärt Dinge, die das Kind erst zehn, 20 Jahre später kapiert. Im Vergleich zu einer Diesel– oder Elektrolok wirkt eine solche Dampfmaschine wie ein schnaufendes Lebewesen in der die Elemente Wasser und Feuer zu einer wahrhaften Naturgewalt zusammengeführt sind. Feuer verwandelt Wasser in Dampf. Dampf braucht unheimlich mehr Volumen als Wasser. Der enorme Druck des Wasserdampfes wird in Zylinder hineingelassen, wo dann über mächtige Eisenstangen die Kraft auf die Antriebsräder übertragen wird. Hierbei entwickelt sich eine solche Gewalt, dass im Fahrgestell Unwucht droht, die mit Gegengewichten an den Rädern und Achsen ausgeglichen werden muss. Zwei Männer bedienen die Dampflok: Rechts steht traditionsgemäß der Führer, links der Heizer. Im Führerstand ist’s so heiß als stünde man direkt an einem Lagerfeuer oder an einem Grill, besonders, wenn der Heizer die Klappe zur „Feuerbüchse“ öffnet, um schaufelweise Kohlen nachzuwerfen. Ein Höllenfeuer ist da drinnen zu sehen. Der Lokführer steht vor Hebeln und Rädern. Der „Gashebel“ ist eine rotgestrichene Stange, die „Gangschaltung“ ein Rad. Mit beiden Instrumenten gibt der Lokführer beim Anfahren Volldampf in die Zylinder hinein. Manchmal kommt’s zu einem Überdruck, so dass die Lok auch im Stehen zischend Dampf ablassen muss. Jetzt schnell nach hinten in die Wagen. Erste Klasse wollte sich Oma nicht leisten. Also nur harte Holzbänke. Egal. Von heller Neugierde gepackt steht nun der Steppke trotz Mahnung des Schaffners am offenen Fenster, gesichert von der Oma, die jetzt Panik hat. Sie glaubt, dass der Zug viel zu rasant in die Kurven fährt. Der Schaffner beruhigt. Es geht zunächst in einem großen Bogen hinaus zum Amiwerk (heuet ZFLS), dann über den Abgrund unter der Remsbrücke in Richtung Straßdorfer Berg. Wir sitzen und stehen auf der linken, richtigen Seite: Es öffnet sich ein tolles Panorama auf die Stadt: Die Türme grüßen, das mächtige Münster sowieso. Es geht immer höher hinauf. Nur Fliegen ist schöner!
Scherrenbachers Lyonerwurst wirkt 50 Jahre später wie Ecstasy
Der Takt der eilig schnaufenden Lok und die Rhythmik der Schienen im Ohr. Höhepunkt ist der Halt am Südbahnhof, wo der Zugbegleiter fuchtelnd und pfeifend auf dem Bahnsteig herumrennt, unterstützt vom Bahnhofsvorsteher. Ordnung muss sein. Dann Volldampf, zunächst ein Ruck rückwärts, denn die Eisenräder drehen durch. Im zweiten Teil der Reise nach Straßdorf grüßen nun Kühe, Schafe und Pferde auf den langsam vorbeiziehenden Berghängen. Richtig stolz winken wir an den Bahnübergängen den Passanten zu. Die Augen beginnen zu schmerzen. Der Schaffner hatte doch gewarnt! Kleine Kohlestückchen vom Schornstein der Lok sind dem neugierigen Bub am offenen Fenster ins Gesicht geflogen. Geschafft! Bahnhof Straßdorf. Das unglaubliche Glücksgefühl im Kopf, mächtigen Hunger im Bauch. 50 Gramm Lyonerwurst am Stück vom Metzger Scherrenbacher als Belohnung und Wegzehrung für die Heimreise.
Für mich ist’s Ritual geworden, dass ich 50 Jahre später bei einer Fahrradtour auf der Klepperle-​Trasse immer noch am Straßdorfer Bahnhof Halt mache, um beim Scherrenbacher 50 Gramm Lyonerwurst am Stück zu kaufen. Die schmeckt immer noch wie damals und wirkt wie Ecstasy: Plötzlich sehe ich das Klepperle um die Ecke dampfen. Ist jedoch „nur“ das Werk von Malermeister Eugen Stegmaier, der die wunderbare Eisenbahngeschichte auf der Westwand seines alten Bahnhofes verewigt hat.

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