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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Hatten die Staufer bei ihren Stadtgründungen einen Plan — und was kann man aus der historischen Stadtarchitektur für die Zukunft lernen?

Sich mit der Vergangenheit zu befassen, ist umso wertvoller, wenn sich daraus lehrreiche Erkenntnisse für die Gegenwart und für die Gestaltung der Zukunft gewinnen lassen. Dies betonte der Gmünder Baubürgermeister Julius Mihm im Rahmen der Tagung „Europäische Städte in der Stauferzeit - staufische Stadtgründungen und ihr städtebauliches Erbe“. Eine Veranstaltung, die natürlich wunderbar in ein Jahr passt, in dem die älteste Stauferstadt in Deutschland ihr 850-​jähriges Jubiläum feiert. Die gestern im Prediger eröffnete Tagung dauert bis Samstag und wird von der Stadt gemeinsam mit der Volkshochschule durchgeführt.

Freitag, 05. Oktober 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 45 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (gbr).
Den inoffiziellen Auftakt bildete gestern ein Stadtrundgang, zu dem auch ein Besuch im Atelier von „Staufer-​Maler“ Hans Kloss gehörte. Die musikalische Begrüßung übernahm das Duo Ute Wolff und Harald Immig. Sie trugen unter anderem ein Lied über den Staufer-​Kaiser Friedrich II. vor und schilderten darin die Ambivalenz im Leben des wohl meistbewunderten Herrschers im Hochmittelalter: Das „Staunen der Welt“, der leider Gmünd nie selbst gesehen hat, wurde als „weise, klug und grausam“ besungen.
Oberbürgermeister Richard Arnold freute sich über die vielen auswärtigen Tagungsteilnehmer, die unter anderem sogar aus den italienischen Stauferstädten Oria und Manfredonia nach Gmünd gekommen waren. Die Welle der staufischen Stadtgründungen habe es laut Arnold verdient, stärker beleuchtet zu werden; und diese Tagung verfolge das Ziel, einigen wichtigen Fragen nachzuspüren. Zum Beispiel, ob die Staufer seinerzeit spezielle Konzepte für ihre Stadtplanungen hatten.
Prof. Dr. Matthias Untermann von der Universität Heidelberg legte den Fokus seines einführenden Vortrags auf die teilweise eklatanten Differenzen zwischen der tradierten Geschichte und den archäologischen Befunden in verschiedenen Stauferstädten in Deutschland. Lange Zeit habe sich die Geschichtsforschung auf die längerfristigen Prozesse konzentriert und dabei die eigentlichen Gründungsakte vernachlässigt. In der Tat gebe es aber Städte, die quasi auf der grünen Wiese gegründet und mehr oder weniger planmäßig angelegt wurden.
Untermann warnte allerdings davor, ein planmäßiges Anlegen mit einem vorgegebenen streng geometrischen Muster gleichzusetzen. Zwar habe das städtebauliche Ideal im Mittelalter die rechtwinklig ausgerichtete Stadtarchitektur der Römer favorisiert — die tatsächliche Umsetzung sei hingegen oft völlig anders ausgefallen. Auch turmbewehrten Mauern finde man nicht überall. Ein prägendes Merkmal sei jedoch eine „Stadtburg“ gewesen, die entweder außerhalb auf einer Erhebung oder an einer Ecke der Stadtmauer platziert wurde. Am Beispiel von Freiburg zeigte der Experte, wie archäologische Funde belegen, dass die Stadt zwar laut schriftlicher Überlieferung geometrisch geplant aber de facto völlig anders gebaut wurde. So finde sich kein rechtwinkliges Straßennetz; allerdings geben Überreste einer mittelalterlichen Trinkwasserversorgung und Kanalisation sehr deutliche Hinweise, dass zuerst geplant und dann gebaut wurde.
Das Beispiel Lübeck zeige, dass ab und an die überlieferte Geschichte einer staufischen Gründung auf der grünen Wiese eine Glorifizierung darstelle. Tatsächlich sei diese Stadt auf den Resten einer slawischen Siedlung errichtet worden. Für Chemnitz können die Historiker keinen Gründungsakt verifizieren, doch die Archäologen fanden Belege für eine Erstbebauung in der Stauferzeit — allerdings später als in Gmünd. In Freyenstein konnten sehr gut erhaltene Keller sowie weitgehend rechtwinklige und gepflasterte Straßen aus der Stauferzeit ausgegraben werden, weil diese Stauferstadt relativ bald wieder aufgegeben und zu Ackerland wurde. Weitere Beispiele von Untermann waren Marbach am Neckar und Rottweil, deren historischer Kern ziemlich geometrisch angeordnet worden war. Er machte zudem darauf aufmerksam, dass die wissenschaftliche Art der Landvermessung, die man in der Antike bereits kannte, zwar in der Karolingerzeit von Mönchen abgeschrieben und aufbewahrt wurden. Jedoch habe dieses Wissen die Klöster im Mittelalter nicht verlassen, sondern sei „totes Buchwissen“ ohne praktische Anwendung geblieben.
Julius Mihm sagte am Ende des Vortrags: „Wir konnten sehen, dass im Mittelalter pragmatische Erwägungen über eine idealistische Planung gestellt wurden!“ Insbesondere habe die Verfügbarkeit von Wasser für die Ver– und Entsorgung sowie (im Stadtgraben) zum Schutz gegen Angreifer eine wichtige Rolle für die Stadtplanung gespielt. „Ich halte es als Baudezernent für sehr wichtig, dass man sich mit dem stadtgenetischen Code befasst“, betonte Mihm und erklärte auch warum: „Wir brauchen dies als Wegweiser für eine stimmige Architektur der Zukunft.“ Wer bei einer Neubebauung die gewachsene Parzellenstruktur ignoriere, laufe Gefahr, dass das Neue von den Bürgern als unpassend empfunden werde.

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