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Nachrichten Ostalb

Besuch bei den Katzen des Dreherhofs: Warum die „Wilden“ hier nichts verloren haben

Die einen finden recht schnell ein Zuhause, die anderen wohl nie: Auch in der Katzenwelt des Dreherhofs gibt es eine Zweiklassengesellschaft.

Samstag, 24. November 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer


OSTALBKREIS (bt). Da ist der kleine Kater, der in Waldstetten in einer Plastiktüte gefunden wurde. Wer macht so was. Und wer schmeißt ungeliebten, ungewollten Katzennachwuchs bei Nacht und Nebel und klirrender Kälte in einem Kartoffelsack übers Tierheimtor? In den zwölf Jahren, die Martina Kaasen im Dreherhof arbeitet, hat sie vieles gesehen, was sie so zornig macht. Und so hilflos. Unvergessen sind auch die zwei Perserkätzchen, die vor dem Tierheim abgestellt wurden – da war’s zwar warm, aber es regnete stark, und der Karton, in den sie verpackt waren, war so nass und zerfleddert, dass es nur eine Frage der Zeit war, wann die wie Müll entsorgten Schätzchen auf die unmittelbar angrenzende Landesstraße gestrolcht wären. Ziemlich gute Chancen, ein neues Daheim zu finden, haben beispielsweise auch Franz und Kelly, großäugige Tigerle, die am Franz-​Keller-​Haus gefunden wurden, oder die drei Jungtiere, die einer an einem Parkplatz beim Bucher Stausee ausgesetzt hat
Vor allem wenn Katzen alt oder krank werden, ist der Dreherhof freilich Endstation. Wenn sie ein bisschen aus dem Leim gegangen sind, den Schmelz ganz junger Katzen eingebüßt haben, wenn sie gar blind sind oder vor einer teuren OP stehen – und wenn sie sich noch so liebenswert geben. Sie zu vermitteln, ist fast unmöglich. Und genau deshalb gibt es eine Besuchergruppe, über die sich das Dreherhof-​Team besonders freut: Ältere Herrschaften, die unter dem Motto „Senioren helfen Senioren“ eine Geldspende vorbeibringen oder eine Patenschaft übernehmen (die ab fünf Euro im Monat möglich ist). Erst dieser Tage war eine 91-​Jährige da, die das Gefühl hatte, durchaus noch etwas bewirken zu können, und das konnte sie. Denn so ein Tierheimleben ist teuer; an Geld fehlt’s hinten und vorne. Von den Kommunen gibt’s Zuschüsse für die Unterbringung von Fundtieren, für deren Tierarztkosten aber kommt niemand auf – müssten die neuen Besitzer, wenn sie denn gefunden werden, für Kastration und Impfung aufkommen, es gäbe wohl gar keine Vermittlungen mehr. Gar nicht zu reden von anderen Kosten: Eine Zahn-​OP für eine ältere Katze kostet Martina Kaasen zufolge, „gleich einige hundert Euro“. Aber sie deshalb einschläfern lassen? Elvira etwa hat nur ein Auge, und für Katzenverhältnisse kommt sie mit ihren zehn Jahren langsam ins gesetzte Alter – aber wer sie gesehen hat, ist überzeugt davon, dass sie noch ganz viel Freude bringen kann.
Die größten Problemkatzen im Dreherhof sind die, die nichts anderes kennen, als im Freien zu leben, zu kommen und zu gehen, wie sie grad Lust haben. Wenn sie aber dass ganze Jahr angefüttert werden, ist das ist sicher leichter, als zu jagen, zu lauern, zu springen, und so verlegen diese Tiere ihren Standort. Vor allem wenn sie älter werden, wollen sie dann ins Warme. Viele, die so freigiebig sind mit dem Futter, haben nicht die Absicht, eine Katze ins Haus zu lassen. Sie aber bei Minusgraden vor der Tür oder auf der Terrasse sitzen zu sehen, halten sie nicht aus. Und so werden freiheitsliebende Tiere, die im Dreherhof auch schon mal mit Füchsen und Dachsen verglichen werden, oder mit Wildkatzen, die noch vor wenigen Jahren in den heimischen Wäldern lebten, ins Tierheim gekarrt, wo sie die Quarantänestation durchlaufen müssen. „Ganz, ganz schlimm“, finden’s die Haupt– und Ehrenamtlichen, zu sehen, dass ältere Kater wie Otto, der auf einem Ellwanger Campingplatz jahrelang angefüttert wurde, randalieren, das Futter verweigern und sich gegen’s Gitter werfen: „Die brauchen keine Stiefelchen und kein Mäntelchen, noch nicht mal Futter; die dürfen nur nicht eingesperrt werden.“ Eine warme Stelle auf der Terrasse oder im Garten sei vorstellbar. Und ja, wenn so ein Tier zu alt wird, komme es nicht durch: „Aber das ist Natur. Sie einzufangen ist viel, viel schlimmer; dann leiden sie extremst.“
Kaasen und ihre Kolleginnen appellieren dringend, vernünftig zu sein. Vor allem, weil’s um moralische Verantwortung gehe. Darüber hinaus sei freilich jeder, der Tiere füttere, nach einem halben Jahr auch juristisch verantwortlich und ganz offiziell Besitzer der Katze: „Wie bei ‘ner Geldbörse die auf dem Fundamt abgegeben wird.“ Der Dreherhof sei jedenfalls nie für solche Tiere konzipiert worden: „Für wildlebende Katzen haben wir keine Möglichkeit der artgerechten Unterbringung; wir können ihren Bedürfnissen in keiner Weise gerecht werden.“ Deshalb, so Kaasen, gebe es in solchen Fällen immer „dramatische Aktionen“, Anrufe in Landwirtschaften und Reitställen oder auch in einem Industriegebiet, wo’s Mäuse zu jagen gibt.
Diese Katzen lassen sich vielleicht ab und an vom Futtergeber übers Haupt streicheln – einen grundsätzlichen Bezug zum Menschen oder zu Enge oder zu allzu großer Nähe zu anderen Katzen aber haben sie nicht. Was also tun mit einem alten Herrn wie Arthur, der ebenfalls angefüttert wurde, unter heftigem chronischen Schnupfen leidet und nicht angefasst werden will? Otto hat sich übrigens in sein Schicksal gefügt, genießt vielleicht sogar ein bisschen die Wärme: Die Regel ist das freilich nicht.

Das Tierheim Dreherhof wurde vor 31 Jahren vom Landkreis gebaut; Betreiber ist der Tierschutzverein Ostalb. Zwischen 100 und 150 Tiere werden hier ständig versorgt werktags wie natürlich auch am Wochenende. Dazu kommen all die anderen Aufgaben: Fundtiere müssen irgendwo abgeholt und andere zum Tierarzt gebracht werden, Nachschub an Futter, Katzenstreu etc. organisiert – die Arbeit für die vier Hauptamtlichen sowie die Nebenberuflichen und die Ehrenamtlichen nimmt kein Ende

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