Direkt zum Inhalt springen

Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Integration über Arbeit: Im Secondhand-​Laden des DRK in der Kornhausstraße dem Arbeitsleben ein Stück näher kommen

Es sind kleine Schritte, aber an jedem einzelnen wachsen die Frauen, die im Secondhand-​Laden des DRK arbeiten. Keine von ihnen traut sich zunächst viel zu — aber gemeinsam stemmen sie ein Unternehmen.

Donnerstag, 06. September 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 58 Sekunden Lesedauer


SCHWÄBISCH GMÜND (bt). „Einige haben kaum einen Fuß vor die Tür gesetzt“, erklärt Gisela Vogt-​Ziegler, was es für zehn Frauen bedeutet, im DRK-​Laden in der Kornhausstraße dem Arbeitsleben und dem Leben in Deutschland ein Stück näherzukommen. Im Laufe der Jahre gab es viele Mitarbeiterinnen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und aus verschiedenen Gründen länger nicht gearbeitet hatten, derzeit aber sind vor allem Frauen beschäftigt, die ihre Wurzeln in anderen Teilen der Welt haben.
Dieser Tage hat eine Dame der Libanesin Rima ein Kompliment für ihr schönes Kopftuch gemacht: Die kleine, zierliche Frau sei „sichtlich gewachsen“ ob dieser Freundlichkeit. Wie viele ihrer Kolleginnen kam sie vor einigen Jahren nach Deutschland. Während die Männer und die Kinder im Beruf, in der Schule oder im Kindergarten allmählich Zugang finden zur neuen Heimat, bleiben sie daheim. Mit dem Kopf und mit dem Herzen kommen sie hier nie richtig an. Bis sich etwas ändert. Mittlerweile meistert Rima im Secondhand-​Laden die Kasse – zunächst unvorstellbar – und sie freundet sich mit der deutschen Sprache an. „Integration über Arbeit“ ist eines der erfolgreichsten Konzepte überhaupt, aber ohne Sprache ist es zum Scheitern verurteilt.
Bajan Bubb ist gelernte Melkerin. Nichts, was ihr auf dem deutschen Arbeitsmarkt großen Erfolg bescheren würde. Sie weiß ein Lied von der Angst und der Unsicherheit zu singen, mit der sich eine Frau der Herausforderung eines Arbeitsplatzes im immer noch fremden Land stellt. Die beiden ältesten Kinder sind in Kasachstan, die jüngeren hier geboren. Der Mann arbeitet in Teilzeit und hat, wie die Kinder, ganz selbstverständlich Kontakte außer Haus. Bajan Bubb aber war daheim. Der „behütete Arbeitsplatz“ im DRK-​Geschäft für gebrauchte Kleidung, mit dem zunächst keine Verantwortung verbunden ist und der ihr dennoch die neue deutsche Welt erschließt, war so ziemlich das Beste, was ihr passieren konnte. Nach und nach lernt sie dort die verschiedenen Tätigkeiten im Verkauf kennen und wird längst als zuverlässige und freundliche Mitarbeiterin beschrieben; auch sie hat die Kassenabwicklung übernommen. Eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt wird zunehmend realistisch, vor allem erfährt Bajan Bubb immer wieder aufs Neue, dass sie neben Kindererziehung und Haushaltsführung auch Geld verdienen könnte. Sie wünscht sich jetzt eine Stelle als Raumpflegerin; wichtigste Voraussetzung dafür war und ist der Spracherwerb.
„Sprache ist ein ganz großes Thema“, meint auch Gisela Vogt-​Ziegler. Als „Arbeitstherapeutin und Casemanagerin“ ist sie die pädagogische Mitarbeiterin im Team; sie sieht ihre Aufgabe darin, „die Frauen mit all ihren Themen zu begleiten“, ihnen bei Bewerbungen zu helfen oder auch erste Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern zu knüpfen. All ihre Erfahrungen bestätigen sie im Schwerpunkt „Spracherwerb“. Viele ihrer Schützlinge haben einen ersten Deutschkurs absolviert: „Aber wenn das nicht praktiziert wird, verfestigt es sich nicht.“ Einmal wöchentlich kommt deshalb Ursula Kürbel, ehrenamtliche Mitarbeiterin, zur intensiven Sprachförderung.
Dann ist natürlich die Qualifizierung Thema. Noch kann im Laden nicht ausgebildet werden, aber Carmen Göhler ist Textilfachfrau, die von der Größeneinweisung bis hin zur Warenkunde großen Wert darauf legt, dass die Mitarbeiterinnen lernen und wachsen an ihren Aufgaben. Die Frau, die dieser Tage ihr 40-​jähriges Berufsjubiläum feierte – gelernt hat sie einst bei Dietrich – war von Anfang an dabei: „Würde es mir keine Freude mache, ich wäre schon lange nicht mehr hier“. Es sind ja auch teilweise wirklich schöne Stücke die angeboten werden – Damen-​, Herren– und Kindermode gleichermaßen.
Acht Frauen arbeiten im Laden, zwei in der Sortierung der gespendeten Kleidung. 2005 hat das Projekt mit 20 Mitarbeiterinnen begonnen, mittlerweile bewilligt das Jobcenter nur noch die Hälfte der sogenannten „Ein Euro-​Jobs“, die für ALG II-​Bezieherinnen bestimmt sind und in den meisten Fällen ausdrücklich der Integration dienen sollen. Wer mit Carmen Göhler gearbeitet hat, erhält ein Arbeitszeugnis, das eine Bewerbung deutlich aufwertet. Vor allem wird Pünktlichkeit gelernt, Höflichkeit, Disziplin in Alltagsdingen, etwa darin, sich eine Krankmeldung zu besorgen: „Für die einen Selbstverständlichkeit, für die anderen Teil einer Welt, die sie erst noch kennenlernen müssen.“ Göhler und Vogt-​Ziegler freuen sich insbesondere daran, dass „ihr“ Secondhand-​Laden so schön geraten ist, dass zudem nicht nur einkaufen darf, wer im Besitz eines Tafelladenausweises ist: Nur so könne wirklich ein Ort der Begegnung entstehen und ein Gefühl des Ausgegrenztseins komme gar nicht erst auf.

14 Tage kostenlos und unverbindlich testen?
Das RZ-Probeabo - digital oder klassisch mit Trägerzustellung

3533 Aufrufe
713 Wörter
4270 Tage 11 Stunden Online

Beitrag teilen

Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 4270 Tagen veröffentlicht.


QR-Code
remszeitung.de/2012/9/6/integration-ueber-arbeit-im-secondhand-laden-des-drk-in-der-kornhausstrasse-dem-arbeitsleben-ein-stueck-naeher-kommen/