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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Der Zukunft ein Gedächtnis geben und den Toten einen Namen: Symposium zur Geschichte der Gmünder Juden in Heiligenbruck

Zur Erinnerung an die Reichspogromnacht vor 75 Jahren, der Betrachtung der Vergangenheit deutscher Juden, aber auch zur Betrachtung der Gegenwart begegneten sich interessierte Menschen bei einem nachwirkenden Symposium in Heiligenbruck bei Spraitbach. Der Dank für diesen Tag gilt Inge Eberle und der Gmünder VHS.

Sonntag, 10. November 2013
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (el).
Schwester Eleonore von der Klostergemeinschaft der Franziskanerinnen der ewigen Anbetung aus Schwäbisch Gmünd und Mitglied im Vorstand der Stiftung Heiligenbruck konnte am Samstag zahlreiche Gäste in Heiligenbruck zum Symposium der Stiftung und der Gmünder VHS begrüßen. Mit eindringlichen Worten erinnerte sie an die Vergangenheit, aber auch an die Gegenwart, in der steigender Antisemitismus spürbar ist und sich viele Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland und Europa nicht mehr wohl fühlten. Dem gelte es sich entgegen zu stellen. Symposien wie das von engagierten Menschen am Samstag gestaltete sollen helfen, der Zukunft ein Gedächtnis zu geben, zu verstehen und das Miteinander zu verbessern.
Schon am frühen Morgen eintauchen in die Geschichte von Menschen jüdischen Glaubens in den Grenzen des heutigen Ostalbkreises, in der herrlichen Stille des Weilers Heiligenbruck. Man hätte dem evangelischen Theologen Dr. Joachim Hahn stundenlang zuhören können, so spannend war sein Vortrag, der am 19. August 1942 begann, als mit dem letzten Zug von Oberdorf nach Stuttgart, auf Befehl der Geheimen Staatspolizei durchgeführt, die letzte Gruppe jüdischer Menschen aus dem Bereich des heutigen Ostalbkreises in Richtung Theresienstadt deportiert wurde und damit die Jahrhunderte alte Geschichte jüdischen Lebens endete.
Dr. Hahn, der umfangreiche Forschungen zu jüdischem Leben durchgeführt hat, der Synagogen und Friedhöfe erforscht hat, ebenso Unterlagen gesichtet und Zeitzeugnisse für die Zukunft gesichert hat, entführte die Zuhörer zurück ins hohe Mittelalter, als die Besiedelung mit Juden begann, die jedoch auch schon zu dieser Zeit von regelrechten Pogromen heimgesucht wurden. Zur Zeit der Kreuzzüge ins Heilige Land wurden Juden als Mörder Jesus Christus und Hostienschänder verfolgt. Im Bereich des heutigen Ostalbkreises wurden erstmals Juden in den Jahren 1241 und 1242 in Gmünd und Bopfingen in der Reichssteuerliste erfasst und deren abzuliefernden Steuern beziffert. Schon damals lebten die Menschen in jüdischen Siedlungen mit eigenen Häusern, Synagoge und Friedhof. So auch in Gmünd in der Nähe des Königsturmes. Während den Zeiten des „Schwarzen Todes“, der Pest wurden die Juden wiederum grausam verfolgt, ermordet oder vertrieben. Eine Wiederansiedlung erfolgte ab 1386 in Bopfingen und 1412 in Gmünd. Allerdings blieben die Juden weitgehend rechtlos, durften keine Ackerflächen oder christlichen Häuser und Grundstücke besitzen, so dass sie überwiegend Geld– und Warenhandel betrieben. Ebenso gab es bis ins 19. Jahrhundert „Betteljuden2, die von Stadt zu Stadt zogen, um sich den Lebensunterhalt zu sichern. Hahn zog einen spannenden Bogen über die Wirren des 30jährigen Krieges, der Zeit danach, der beginnenden Emanzipierung der Menschen jüdischen Glaubens sowie der rechtlichen Gleichstellung mit Menschen christlichen Glaubens die im Jahr 1864 für den Bereich Württemberg erfolgte. Als sich das Ries aufspaltete, der westliche Teil gehörte nun zu Württemberg, der östliche zu Bayern, wurde das Rabbinat Oberdorf gegründet, das bis nach Schorndorf wirkte. Im ersten Weltkrieg nahmen viele Juden am Kampf um das Vaterland teil, fielen, wurden verwundet und teilweise mit vielen Orden geehrt. Später wurde ihnen dann allerdings vorgeworfen, dass sie Schuld am verlorenen Krieg hätten. 1926 war in Gmünd ein besonderes Jahr, als am heutigen Standort der Gmünder Kreissparkassen Hauptstelle die Synagoge feierlich eingeweiht wurde. Der Kreis schloss sich mit dem Pogrom, der Zerstörung jüdischer Einrichtung und dem Boykott jüdischer Läden und Handwerker sowie dem Beginn der Deportationen, die am 19. August 1942 mit dem letzten Zug von Oberdorf nach Stuttgart endeten.
Dr. Cornelia Hecht vom Haus der Geschichte in Stuttgart stellte die Patenschaftsaktion Symphony of Names vor, bei der die Namen von 959 deportierten und umgebrachten Juden in Wort und Ton öffentlich gemacht werden. Jeder Buchstabe des Namens wird ein Ton, die Töne Melodie. Dr. Hecht zeigte sich sehr erfreut, dass für alle 959 Namen Paten gefunden werden konnten. In einer Aktion wurden die Partituren sämtlicher Menschen 24 Stunden lang abgespielt. Die Paten treffen sich regelmäßig zum Austausch, sie können eigene Aktionen starten, so zum Beispiel nach den Menschen hinter den Namen recherchieren – durch diesen menschlichen Bezug allein lasse sich heute Betroffenheit, Traurigkeit und die gebotene Sprachlosigkeit erreichen. Es wurden Theaterstücke geschrieben, fiktive Briefe an die ermordeten Menschen und darüber sinniert, was aus jedem Einzelnen geworden wäre, wenn er sein Leben behalten dürfen hätte.
Das beeindruckendste Zeugnis legen betroffene Zeitzeugen ab, doch die Zeit drängt, sie werden alt und sterben und mit ihnen die plastischen Erinnerungen an eine der dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte. Die in Stuttgart lebende Malerin und Dozentin Mina Gampel legte einen Lebensbericht vor, der innehalten lässt. 1940 in Pinsk, damals Polen, heute Weißrussland geboren, war sie mit ihrer Familie über das Kriegsende hinaus. Zunächst permanent auf der Flucht vor den Deutschen ließ man die Familie nicht zurück in die Heimatstadt, so dass zunächst Stettin eine weitere Station im Leben war. 1957 ging es nach Israel, nach dem Sechstagekrieg holte sie ihr in Deutschland lebender Bruder für zunächst zwei Jahre nach Deutschland, daraus sind mittlerweile 47 Jahre geworden. Deutschland wurde und ist Heimat zum Leben und Arbeiten für die Künstlerin, die als Dozentin an der Kunstakademie in Esslingen arbeitet. Sie hat ihren Frieden mit der Vergangenheit geschlossen, wünscht sich jedoch für sich Anerkennung. Denn die Vergangenheit wird Zeit ihres Lebens für Mina Gampel immer präsent bleiben und sie mit aller Härte begleiten.
Prof. Dr. Manfred Lämmer beleuchtete in einem spannenden Vortrag den Beitrag des Sports zur Entwicklung der deutsch-​israelischen Beziehungen. Der Professor für Sportgeschichte mit dem Forschungsschwerpunkt „Sport im Judentum“ stellte den Sport als völkerverbindendes Element bereits zu Zeiten vor, als Intellektuelle wie Günter Grass noch mit Eiern und faulen Tomaten beworfen wurden. Damals undenkbar, aber doch Wirklichkeit als Borussia Mönchengladbach 1970 in Tel Aviv lautstark bejubelt wurde, als sie die israelische Nationalmannschaft mit 6:0 besiegten. Noch heute sind Fußballspiele der Bundesliga der Renner auf israelischen Fernsehsendern. Lämmer verdeutlichte, dass viele Städte– und andere Partnerschaften zunächst über den Sport entstanden sind, erst später kamen dann Politiker und Bürgermeister hinzu, um die Partnerschaften formell zu besiegeln. Deutschland war immer wichtiger Partner Israels, so als die arabischen Länder dafür sorgen wollten, dass Israel aus Sportverbänden ausgeschlossen werden sollte. Noch immer werden bei Wettkämpfen israelische Sportler boykottiert, so wird wohl kein iranischer Ringer gegen einen Israeli antreten.
Der Tag in Heiligenbruck war nachhaltig und nachdenklich machend. Über die Vergangenheit hinaus, die bewahrt werden muss, müssen die Menschen, vor allem die Jungen die Zukunft gestalten, indem sie sich der dunklen Kapitel deutscher Geschichte bewusst werden.

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