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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Über die Berufsvorbereitende Einrichtung finden junge Menschen mit Lernschwächen zum Beruf

Für Melanie Saile war es 2011 ein großer Schritt, bei der BVE anzufangen, der „Berufsvorbereitenden Einrichtung“, die Menschen mit Behinderungen für den ersten Arbeitsmarkt qualifiziert. Ihr erster Satz damals: Niemals werde sie vorne stehen und etwas sagen – sie litt unter quälender Schüchternheit. Kaum vorstellbar, dass es die selbe junge Frau war, die zwei Jahre später an Landrat Klaus Pavels Rednerpult stand und vor großem Publikum von ihrer Arbeit erzählte. Die mittlerweile 19-​Jährige hat gelernt in den vergangen drei Jahre, ist gewachsen an Herausforderungen – Melanie ist ohne Zweifel eine, die anderen Mut macht, Träume zu leben.

Donnerstag, 10. April 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND.
Melanie hat immer schon Blumen geliebt; in einem Blumenhaus zu arbeiten nennt sie „Traumberuf“. Wie alle in der BVE wünschte sie sich so sehr ein „normales“ Leben, dass sie bereit war, die doch enormen Hürden anzugehen, die sich vor einer jungen Frau mit ihrer Lernschwäche auftürmen. Die Förderschulen tragen das Projekt mit, die Kommunen, verschiedene Institutionen, nicht zuletzt aber die Betriebe – ohne ein Praktikum laufen alle pädagogischen Bemühungen ins Leere. Michael Stein hat vor drei Jahren einen Praktikumsplatz für Melanie in der Lindacher Gärtnerei Kuhn Thuma gefunden. Heike Bareiß von der Klosterbergschule begleitet sie seither und erzählt von den Veränderungen, die sie bemerkte, vom unbedingten Willen Melanies, ihre Sache gut zu machen. „Das Gefitzel mit Draht“ etwa fiel der jungen Frau mit ihrer feinmotorischen Schwäche zunächst schwer: So gern sie das Grün im Blumenhaus, also Lederfarn Galax, Plumosus, Asparagus und Hasenohren, zu Bündeln zusammengefasst hätte – an der Umsetzung drohte sie zu scheitern. Heike Bareiß’ Stolz ist unüberhörbar, als sie erzählt, wie ihr Schützling daheim zu üben begann und Übungsstücke mit Draht stärkte und umwickelte, bis es dann doch funktionierte. Mit den Pflanzennamen ist das auch so eine Sache: Eigenständig habe Melanie die Fotos „ihrer“ Pflanzen im Internet gesucht, ausgedruckt und beschriftet, um sie sich merken zu können. Nicht immer freilich ist ihr es möglich, durch Begeisterung Defizite auszugleichen, die eine reguläre Ausbildung unmöglich machen. So gern sie etwa auf dem Wochenmarkt dabei ist, werde es dort doch zuweilen anstrengend – größere Summen zusammenrechnen, unter anderem, überfordert sie. Solche Sorgen werden gern auch mit Heike Bareiß als Mittlerin ausgeräumt.
Um 8.42 Uhr trifft Melanie mit dem Bus in Lindach ein und beginnt mit dem Tagwerk – sie schneidet die Blumen an, die im Kühlbereich stehen, und putzt die Gefäße aus, sie kümmert sich darum, dass sich die Pflanzen, überhaupt der Schauraum gut präsentieren, sie gießt und entfernt welke Blätter. Grundsätzlich mag Melanie ihre Arbeit. Sehr. Immer wieder neu. Die Tulpen, die von Fresien und Gladiolen abgelöst werden, die schönen Rosen, die Orchideen. Wenn sie einen Strauß binden darf. Mit Christa Rothmer, Stefanie Schuch, Simone Weller und Susanne Hörner hat sie offenbar Kolleginnen gefunden, die ihr das Gefühl geben, dazu zu gehören. Auch der Chef, Markus Thuma, der seit 30 Jahre ausbildet, ist zufrieden, schätzt ihr freundliches Wesen, ihren Willen, zu lernen und mitzuarbeiten.
„Ich hab noch nie erlebt, dass die Firmen enttäuscht waren“, sagt Bareiß, die ihre Schüler in Betrieben unterbringe wollte, lange bevor es das BVE gab. Sie schwärmt von der Zuverlässigkeit ihrer Schützlinge, die bei allen kognitiven Einschränkungen Schlüsselqualifikationen mitbrächten: Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ausdauer und Flexibilität. Vor allem anderen die hohe Motivation: „Sie wollen wirklich arbeiten, unbedingt.“ Etwas, das beileibe nicht selbstverständlich ist. Eine reguläre Ausbildung ist für diese Schüler nicht zu leisten, und die Langzeitpraktika können nur in eine „Helfertätigkeit“münden — aber diese eröffnet den jungen Leuten den Weg in ein wesentlich selbstbestimmteres Leben.
Diese ganz besondere Zusammenführung von Schülern mit Lernschwächen und Betrieben, die entsprechende Arbeiten anbieten können, bringt offenbar allen Beteiligten neue Impulse und Perspektiven. Heike Bareiß hat Melanie gerne begleitet. Drei Jahre lang. Sie seufzt: „Nach den Sommerferien verlier ich sie.“ Und sie lächelt. Für Melanie gibt es in Lindach einen regulären Arbeitsvertrag.

Informationen zur BVE:

Das Staatliche Schulamt hat die Berufsvorbereitende Einrichtung BVE gemeinsam mit der Klosterbergschule auf den Weg gebracht. Mit im Boot sind Michael Stein vom Integrationsfachdienst, Thomas Graf und Jochen Berger, Fachlehrer an der Martinus-​Schule, sowie die Johannes-​Landenberger-​Schule –private Sonderberufs– und Sonderberufsfachschule beim Berufsausbildungswerk in der Gmünder Oststadt.
Andere Maßnahmen beruflicher Bildung sind für diese jungen Leute ungeeignet. Ohne besondere Förderung bleibt nur die Arbeit in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung.
Es gibt beim BVE Unterrichtsmodule, die das Erwachsenenleben zum Thema haben, zudem natürlich den Berufschulunterricht, der Basiskompetenz in Sachen Holz, Metall, Gastro, Farbe, Reinigung oder auch Gartenbau vermittelt, sowie die Arbeitsprojekte, in denen Ausdauer, Motivation, Sorgfalt, aber auch Team– und Konfliktfähigkeit geschult werden sollen.
Die jungen Leute, die sich im BVE auf ein Leben als Erwachsene vorbereiten, die darauf hoffen, in den ersten Arbeitsmarkt entlassen zu werden, müssen einiges mitbringen: Hohe Eigenmotivation ist Voraussetzung für die Aufnahme ins Projekt, schulinterne Vorbereitung, erfolgreiche berufliche Vorpraktika, Mobilität im Straßenverkehr und Unterstützung durch das soziale Umfeld – die Familie also oder eine Wohngruppe.

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