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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

Marginalie: Ende der Schonzeit für den Grünpfeil

Grafik: RZ-​Archiv

An einigen Stellen der Gmünder Innenstadt musste in den letzten Tagen der Grünpfeil weichen, der auch bei einer roten Ampel das Rechtsabbiegen erlaubt. Das Zeichen galt als eines der wenigen Überbleibsel der alten DDR, die auch im vereinigten Deutschland überlebt haben. Der Grünpfeil und ein grüner Pfeil sind aber keineswegs dasselbe. Damit beschäftigt sich die Marginalie an diesem Wochenende.

Sonntag, 06. November 2022
Franz Graser
2 Minuten 32 Sekunden Lesedauer

Jetzt geht es dem Grünpfeil an den Kragen. An einigen Stellen der Gmünder Innenstadt ist in den zurückliegenden Tagen das noch aus dem Fundus der DDR stammende quadratische Schild mit dem charakteristischen grünen Rechtspfeil abgebaut worden. Wer es also gewohnt war, an den betreffenden Stellen trotz roter Ampel rechts abzubiegen, muss sich jetzt umstellen und anhalten.

Wobei hier ganz exakt mit dem Seziermesserchen hantiert werden muss. Denn ein grüner Pfeil macht laut Straßenverkehrsordnung noch keinen Grünpfeil. Der grüne Pfeil bezeichnet nämlich aus verkehrsrechtlicher Sicht das Zeichen in der Streuscheibe des grünen Ampellichtes und bleibt allen erhalten, die am Verkehr teilnehmen. Anders ist es dagegen mit dem Grünpfeil, offiziell auch als Zeichen 720 bekannt. Der wird zunehmend dort abgebaut, wo er die Verkehrssicherheit gefährden könnte — unter anderem in Sichtweite des Gmünder Verlagsgebäudes.

Dabei schien es lange so, als ob der Grünpfeil an sich unter Bestandsschutz stehen müsste. Denn in den turbulenten 90er-​Jahren des vergangenen Jahrhunderts galt das Verkehrszeichen als eine der wenigen Errungenschaften der DDR, die in die neue vereinigte Bundesrepublik hinübergerettet werden konnten. Der Grünpfeil stand für Ostalgie, ebenso wie das Ampelmännchen mit dem Hut. Doch anders als das kultige Männchen war der vergleichsweise dröge Pfeil auf Dauer wohl doch nicht knuffig genug. Der in manchen Kreisen lange erwartete Antrag, die beiden Ost-​Relikte zum immateriellen Kulturerbe erklären zu lassen, blieb darauf in der Schublade.

Deshalb scheint nun die Schonzeit für den Grünpfeil vorbei zu sein. Auch im Beitrittsgebiet befindet sich das Verkehrszeichen zunehmend auf dem Rückzug. Glaubt man einem einschlägigen Online-​Lexikon, dann ist der Pfeil in Großstädten wie Magdeburg, Leipzig oder Chemnitz in den letzten Jahren an vielen Stellen abgebaut worden. Ein veritables Reservat des Grünpfeils ist dagegen die thüringische Hauptstadt Erfurt. Dort ist das Vorkommen des Verkehrszeichens zwischen 2003 und 2018 deutlich angestiegen. Ob sich dies mit den mitunter sonderbaren politischen Präferenzen mancher Thüringer erklären lässt, muss an dieser Stelle jedoch offen bleiben.

Trotz aller Ostalgie: Der Grünpfeil ist keine Erfindung der DDR und noch weniger eine des Sozialismus. Denn gerade in den USA, dem Land des vielfach noch ungezähmten Kapitalismus, existiert eine ähnliche Regelung. In vielen Bundesstaaten (und einigen Provinzen Kanadas) ist das Rechtsabbiegen bei Rotlicht generell erlaubt, ohne dass es eines Verkehrsschildes bedürfte. Dort gibt es vielmehr ein Zeichen „No Turn on Red“, das dort angebracht ist, wo nicht bei Rot abgebogen werden darf.

Der Grund für diese Regel war laut dem bereits erwähnten Online-​Lexikon ein aus heutiger Sicht ganz aktueller, nämlich Energiesparen. Denn es sollte vermieden werden, dass die Autos zu lange an einer roten Ampel stehenbleiben mussten und dabei im Stehen Kraftstoff verbrauchten. Ausnahme von dieser Regel ist wie so oft die Metropole New York, was die These unterstreicht, dass die eigentlichen USA erst hinter der Stadtgrenze des „Big Apple“ beginnen. In New York gibt es wiederum ein Schild, das analog zum Grünpfeil anzeigt, wo ausnahmsweise bei Rot abgebogen werden kann.

Auch wenn der Autor dieser Zeilen den Pfeil manchmal praktisch fand: Einen Grund, um das Verkehrszeichen zu trauern, gibt es sicher nicht. Es sei denn, ein Historiker käme zu dem Schluss, dass das Zeichen schon unter dem Stauferkaiser Friedrich Barbarossa in Gebrauch war. Dann gäbe es in Gmünd wohl an jeder Ecke Grünpfeile. (Hans Riedl)

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